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edition KRAUTGARTEN

VORWORT
 
Es ist nicht möglich, die weiten Felder zu umschreiten, die die beiden Autoren dieses Bandes mit ihrer künstlerischen Arbeit evozieren. Deshalb muss es in diesem Vorwort bei  einer fragmentarischen Annäherung bleiben. Es handelt sich offensichtlich um die gemeinsame Produktion zweier kreativer Vaganten mit vielseitigen Interessen. Wolfgang Vincke ist daheim in der Bildenden Kunst und im Theaterschaffen im „sprudelnden“ grenzen-nahen Aachen. Diesen Facetten fügt er nun mit dieser Arbeit die lyrische Tiefe hinzu. Alexander Bold hat in mehreren Berufen gearbeitet und die europäischen Länder bereist, heute lebt er in Achern. Die Zusammenfügung ihrer beiden Welten in diesem Buch ist mehr als äußerlich und zufällig, sie ist kongenuin. Wolfgang Vincke ist in sich unterwegs, er schreitet seine innere Welt ab, vermisst sie, stolpert über ihren ungefestigten und unsteten Charakter, hangelt sich über unsichere Gefühle und Einschätzungen hinüber ins Worte-sagen, das ihm darob Krücke, Brücke und Kletterhaken wird. Er lässt seinem Unterbewussten freien Lauf und entdeckt Zusammenhänge während der Formulierung. Der Leser ist privilegierter Zeuge dieses Klärungsprozesses. Der Fotograf Alexander Bold begeht die Welt mit der Fotokamera und sagt über sich selber aus. Er bannt im Bild den Anblick von besetzter, angeeigneter, dienstbar gemachter Landschaft, weit über die Idylle und alle nostalgischen Träume hinaus, unbekümmert darum, wie gern die Seele sich in schönem Umfeld in der schaukelnden, einlullenden Hängematte baumeln lassen möchte! Der Fotograf belässt es bei der nüchternen Chiffrierung, die letztlich weniger über das ins Bild gesetzte Objekt als über die eigene Befindlichkeit und Suche aussagt. Industrielandschaft, Fluss und Schleppkähne, Schornsteine und Rohre für unsichtbare Energierohstoffe, indifferente Wolken, Schlote, Schutthalden und Kräne sind allesamt Spuren davon, dass hier der Schaffer, der eingreifende homo industrius vorüberging; zugleich überliefern die Fotos die empfindsame Wahrnehmung durch den philosophischen Fotografen, der angesichts der Veränderung der Schöpfung meditiert und gleich einem Notar, leidenschaftslos und nicht parteiergreifend, die hier wirksam gewordene Spur des gestaltenden und verunstaltenden Menschen festhält. Zwischen dem Dichter und dem Fotografen bestand keine Absprache. Es handelt sich um eine parallele Schöpfung.
Der Dichter nutzt virtuos die Palette der Sprache, um seine Unrast vibrieren zu lassen, – von der Anlehnung suchenden Mitteilung spüre den frost hin zum Ausruf wer hilft mir auf? Er bietet reiche Zusammenfügungen: das laub und den versiegelten blick, das kinderspiel und den sternenbaum, das zuckerwerk und das gramgebet (in einwärts). Er beklagt die menschenwand mit schatten auf der flucht / vor selbst und flammenden Häusern / schwarze vögel kopf über kopf / mit brennenden bäuchen. Unverhüllt leidet er unter dem Schmerz aus vielen Verletzungen und gescheiterten Träumen ob des raubmenschen: woraus er – an einer der gesammeltesten Stellen der Gedichtesammlung – folgert: unvermeidlich / ist die welt / nur ein vorwand / für sehnsucht / am verwelkten herzrand. Wer Wolfgang Vincke kennt, denkt hier an die Themen seiner Theaterstücke – z.B. wie kommt eine türkische Immigrantin in Deutschland an – und an Beispiele seines künstlerischen Schaffens, wie die Serie der „verbrannten Bücher“. Er schreibt: fragt nicht, wo die schuld schläft. Von sich selber sagt er: und sucht mit mir sucht / als würdet ihr meinen zorn verstehen / zwischen zwei welten.
Zum Ausklang und zur Überleitung zum Lesen dieses fragile, zarte Notat: die gesicht trockne ich mit wachs / duftgelb und mit wahrstaub bestreut / will ich träumen von dir / im hauchdünnen haus.
 
Bruno Kartheuser



abwesen
 
spüre den frost
von tief unten empor
erdenferne
wund dunst und wind
und singe in den rücken
wer hilft mir auf?
geschminktes glück
bescheint meine glieder
abwesen
abgeliebt
in schmutzgrauem schnee
wisperndes kind
nicht zu bewegen
ich höre deine lieder
höre stille von ganz weit her
loskauf!
rufe ich ins weiß
etwas verbrennt meine haut
etwas stimmt nicht am klang
wenn die geisel am spielzeugpiano
schweigt
und tastet keinen ton
keinen namen
abwesen abgeliebt in dur
ist dein lohn
nach langem zögerlichem moll
folgt handlung
floskelhaft zunächst
mit fahlen verlassenen akkorden
wer hilft mir auf?
© KRAUTGARTEN
Letzte Änderung: 22.05.2007
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